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Wie man mit fehlender Wertschätzung umgeht


Wie geht man mit steigender Unzufriedenheit um, wenn man trotz enormen Arbeitseinsatzes keine Wertschätzung erfährt? Wie kommt man aus der Abhängigkeitsfalle? Wie erlangt man Antriebskraft, Freude und Zufriedenheit mit sich selbst zurück? Und was hat Maslow damit zu tun?



Robert S. erläuterte mir in unserer ersten Online Coaching Session sein Problem. Er war 42 Jahre alt und leitete seit mehreren Jahren die IT-Abteilung eines erfolgreichen Online Händlers. Er war verheiratet und hatte 2 Kinder. Mit seiner Familie war er während der Pandemie in ein Einfamilienhaus im Speckgürtel der Großstadt gezogen, um mehr Platz für die Kinder und sein Home Office zu haben. Seine Arbeit war mehr als anspruchsvoll. Während der Pandemie musste die IT dafür sorgen, dass alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen remote arbeiten konnten. Das Geschäft im Online Handel zog stark an und veränderte sich dabei zunehmend. Gleichzeitig gab es nationale und internationale Firmenübernahmen und die daran anschließende Integration vieler Kulturen und IT-Systeme. Um die Kosten im Griff zu bekommen gab es zudem Outsourcing Projekte mit der Ukraine und Indien, die sehr viel Koordination und Abstimmungsarbeiten benötigten.


Die Welt um ihn herum drehte sich immer schneller. Er hatte also alle Hände voll zu tun und sehr lange Arbeitstage. Und dazu noch ein Privatleben, das allerdings zunehmend zu kurz kam. Wertschätzung für seine Arbeit gab es von seinem Chef so gut wie nie. Dieser nahm sich keine Zeit mit ihm über seine Arbeit zu sprechen. Geschweige denn, ihn zu loben. Gemeinsame Ziele wurden nicht besprochen. Neue Projekte wurden ihm ohne Rücksprache zugewiesen. Es interessierte nicht, wie viel er bereits zu tun hatte und ob er noch Kapazitäten frei hatte. Nachfragen zu seiner Person und seinem Wohlbefinden gab es nicht. Wenn es direkte Gespräche mit seinem Vorgesetzten gab, dann eigentlich nur bei neuen Projekten oder wenn es darum ging, das Budget der IT-Abteilung zu kürzen. Kaum fiel mal ein positives Wort. Es wurde einfach vorausgesetzt, dass alles gut lief.


Sein Gehalt war dagegen gut und reichte aus, um sich ein Haus im Grünen leisten zu können und mit der Familie in Urlaub zu fahren. Aber die fehlende Anerkennung für seinen tagtäglichen Einsatz mit den vielen Überstunden machte ihm zunehmend zu schaffen. Zudem bekam er zunehmend Anrufe von Headhuntern mit sehr attraktiven Angeboten, was ihn in einen Gewissenskonflikt trieb, der an ihm nagte. Einerseits wollte er nicht als Jammerlappen gelten und hatte bisher mit seinem Vorgesetzten daher nicht über seinen Gemütszustand gesprochen. Andererseits merkte er, dass sich etwas in ihm veränderte. Seine Motivation morgens an den Schreibtisch zu gehen wurde mit jedem Tag geringer, er fühlte sich immer mehr gefrustet und genervt und entwickelte eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Situation. Er wachte nachts immer öfter auf und konnte nicht mehr einschlafen. Irgendetwas musste sich ändern – aber was? Und wie?


„Ich habe eigentlich einen tollen Arbeitsplatz, ein tolles Team und viele interessante Herausforderungen zu bewältigen. Auch mein Gehalt ist wirklich gut. Aber seit einiger Zeit fühle ich in mir Frust und fehlende Motivation aufsteigen und kann zunehmend schlecht schlafen. Ich glaube meine IT-Abteilung ist trotz vieler Personalwechsel sehr gut aufgestellt. Aber ich erhalte kaum persönliches Feedback. Von Lob, Anerkennung oder einem einfachen „Danke“ ganz zu schweigen. Im Gegenteil – mir werden ständig neue Projekte ohne jede vorherige Rücksprache aufgedrückt und es wird als selbstverständlich erachtet, dass ich das alles weiterhin schaffe. Und immer wieder höre ich dazu den Vorwurf, dass die IT insgesamt zu ineffizient und zu teuer sei.“

Was ist Wertschätzung?


Wertschätzung ist ein Grundbedürfnis des Menschen - im Job wie im Privatleben. Und Zahlen belegen es: 91% der Befragten einer repräsentativen Umfrage der ManpowerGroup geben an, dass ihnen Wertschätzung am Arbeitsplatz wichtig (42%) bzw. sehr wichtig (49%) ist. Diese 91% haben das starke Bedürfnis nach Anerkennung, Lob und Wertschätzung und begeben sich damit in eine Abhängigkeitsfalle.


Umgangssprachlich wird Wertschätzung oft mit Lob und der Anerkennung von Leistung gleichgesetzt. Das ist jedoch nicht die ganze Wahrheit. Wertschätzung ist mehr – es ist eine Herzens- und Geisteshaltung, die immer auch den Menschen sieht und nicht nur dessen Ertrag. Eine Definition von Wertschätzung lautet daher: Wertschätzung ist die positive Bewertung eines anderen Menschen. Sie gründet auf einer inneren Haltung anderen gegenüber. Wertschätzung betrifft einen Menschen als Ganzes, sein gesamtes Wesen. Wertschätzung ist verbunden mit Respekt, Wohlwollen und Anerkennung. Sie drückt sich u.a. in Zugewandtheit, Interesse am Menschen, Aufmerksamkeit und Freundlichkeit aus.


Richtig angewendet, setzt Wertschätzung bei uns enorme Kräfte frei und wirkt motivierend. Eine verbale Anerkennung durch den Chef oder die Chefin und Kollegen oder Kolleginnen ist oft wichtiger als Geld. Ein Fehlen oder mangelnde Anerkennung und Wertschätzung dagegen kann zu emotionalem Stress und stressbedingten Krankheiten wie Depressionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Blutdruckproblemen, Schlafproblemen oder Magenbeschwerden führen. Manche Arbeitgeber oder Vorgesetzte – wie im Fall von Robert - vertreten allerdings leider immer noch die Devise: „Dafür wird er oder sie ja schließlich bezahlt“ oder „Nicht gemeckert, ist schon genug gelobt“


Diejenigen, die schon in ihrem Elternhaus das Grundbedürfnis nach Anerkennung nicht, oder in nicht ausreichendem Ausmaß befriedigt bekommen haben, leiden dabei ganz besonders unter fehlender Wertschätzung. Und auch die heutigen jungen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die Millennials, die mit sehr viel Lob und Anerkennung fast ihres gesamten Handelns und mit tausenden von „Likes“ auf den verschiedenen Social Media Kanälen aufgewachsen sind, können ohne kontinuierliches positives Feedback kaum noch auskommen.


Was ist die Lösung?


Für jedes Coaching ist es sehr wichtig, konkrete Ergebnisse zu benennen, die man im Coaching erreichen will. Die Ergebnisse sollten attraktiv, realisierbar, realistisch und selbst initiierbar sein. Robert wollte herausfinden, wie er mit der Enttäuschung und seiner damit einhergehenden Unzufriedenheit über die fehlende Wertschätzung umgehen sollte. Unter keinen Umständen wollte und konnte er so weitermachen wie bisher. Sein Ziel lautete daher: „Ich möchte durch das Coaching Handlungsoptionen finden, um aktiv gegen die Enttäuschung und Frustration vorzugehen, die die fehlende Wertschätzung durch meine Vorgesetzten in mir auslöst und die mich zunehmend unzufriedener mit meinem Leben macht.“


In unseren Coaching Sessions beleuchteten wir zunächst den Grad seiner Zufriedenheit in den unterschiedlichen Bereichen seines Berufs, der insgesamt nicht schlecht war. Bis auf die fehlende Wertschätzung und seine schlechte Work-Life Balance. Danach erarbeiteten wir Ideen. Was brauchte er dazu um sein Ziel zu erreichen? Welche Fähigkeiten konnte er einsetzen? Welche Kollegen haben vielleicht das gleiche Problem gehabt und wie haben sie es gelöst? Wer oder was kann noch helfen?


Zusätzlich hatte Robert verschiedene Hausaufgaben zu bewältigen. Dazu gehörte die Aufgabe einer gesunden und intensiven Selbstreflexion. Die Selbstreflexion sollte ihm helfen, sich selbst besser zu verstehen. Insbesondere die Frage, warum ihm Wertschätzung eigentlich so wichtig ist. Insbesondere ging er dabei in seine Kindheit und Jugendzeit zurück. Denn diejenigen unter uns, die schon in ihrem Elternhaus oder in ihrer Schule wenig Anerkennung bekommen haben leiden ganz besonders darunter, ohne Wertschätzung und Anerkennung durchs Leben zu gehen.


Und er bekam etwas „Brain Food“ mit auf seinen Weg raus aus der Unzufriedenheit. Ich machte ihn mit mehreren Motivationstheorien bekannt, darunter der Maslowschen Bedürfnispyramide, eine simple und anschauliche Darstellung der Hierarchie menschlicher Bedürfnisse in insgesamt fünf Stufen und zwei unterschiedliche Gruppen. Zwar nicht unumstritten, aber eine gute Grundlage um seinen individuellen Stand auf der Pyramide zu ermitteln. Die drei untersten Stufen der Pyramide decken die sogenannten Defizitbedürfnisse ab: die physische Grundversorgung, die persönliche Sicherheit sowie soziale Beziehungen. Diese Bedürfnisse müssen laut Maslow befriedigt sein, damit man überhaupt so etwas wie Zufriedenheit empfindet. Erst danach folgen die Wachstumsbedürfnisse, zu denen individuelle und mentale Bedürfnisse (Wertschätzung, Anerkennung, Selbstbestätigung, Erfolg, Status, Geld, Macht, Karriere) und an der Spitze die Selbstverwirklichung (das Erkennen und entfalten des eigenen Potenzials, das Leben aktiv gestalten und ihm einen Sinn geben) zählen. Robert befand sich bereits im Bereich der Wachstumsbedürfnisse.


Während unseres Coachings, das über mehrere Monate ging, hatte Robert verschiedene Ideen entwickelt und nach und nach bereits umgesetzt. So hatte er zum Beispiel seinen Vorgesetzten angesprochen und mit ihm erstmalig einen Spaziergang gemacht, bei dem sie neben allgemeinen geschäftlichen Entwicklungen auch seine Unzufriedenheit über das fehlende Feedback und sogar private Themen ansprachen. Zudem hatte er Zeit mit einigen Teamkollegen verbracht und sie gebeten, ihm ein Feedback zu geben. Was überaus positiv ausfiel. Er begann bewusst genauso zu handeln, wie er es sich von seinem Vorgesetzten gewünscht hätte. Ehrliche Wertschätzung seinen Kollegen und Kolleginnen gegenüber. Sich Zeit nehmen. Den Menschen zu sehen. Zudem führte er eine Art Tagebuch, in dem er all seine kleinen und großen Erfolge notierte – was ihm zunehmend bewusst und stolz machte, welchen Beitrag er für den Erfolg seiner Firma leistete.


Nach dem Studium weiterer Literatur und Gesprächen mit Kollegen und Kolleginnen hatte er damit aufgehört, andere alleine für die Befriedigung seiner Bedürfnisse nach Wertschätzung verantwortlich zu machen. Das hatte er nun in die eigene Hand genommen und sich damit aus der Abhängigkeit von anderen gelöst. Und mit ein bisschen Unzufriedenheit konnte und wollte er auch leben. Als seine Art Ansporn weiterhin achtsam zu sein und bewusster zu leben.


Die vielen während des Coachings herausgefundenen Handlungsoptionen und deren Umsetzung zeigten schon sehr bald ihre Wirkung. Robert ging gelassener mit der Situation um. Er bekam sogar von seinem Chef Feedback und sie vereinbarten weitere Spaziergänge. Und er nahm die Kommunikation mit seinen Kollegen und Kolleginnen bewusster wahr, entdeckte darin deren Art von Wertschätzung. Zudem löste er sich von der Erwartungshaltung, ständig Lob und Anerkennung zu bekommen – freute sich dann aber umso mehr, wenn er Wertschätzung erhielt. Sein Selbstwertgefühl und seine Gelassenheit begannen zu steigen. Und damit auch die Zufriedenheit mit sich und seinem Job.


Zum Schluss meine persönlichen Top 10(+1) aus der Liste unserer Ideen aus unserem Coaching. Wie man mit fehlender Wertschätzung durch den Vorgesetzten umgehen kann:


  1. Spreche mit deinem Vorgesetzten. Kein Jammern. Erkläre ihm in einem konstruktiven Gespräch deine Gemütslage und versuche gemeinsam mit ihm eine Lösung zu finden.

  2. Reflektiere, ob du Lob und Anerkennung von anderen erhältst? z.B. von deinen Kollegen und Kolleginnen, deinen Kunden oder deinen Lieferanten.

  3. Überdenke deine Erwartungshaltung – warum ist dir Lob und Anerkennung so wichtig?

  4. Steigere dein Selbstwertgefühl. Kannst Du dir deine Anerkennung auch selber geben? Lobe dich selber. Wertschätze dich selber. Verwöhne dich. Behandle dich wie deinen besten Freund. Denke positiver über dich.

  5. Schreibe auf, was Dir an deiner Arbeit gefällt, was dir Spaß macht, welche Erfolge du hast.

  6. Verzichte auf Anerkennung und Wertschätzung von denen, die du eh nicht beeinflussen kannst.

  7. Gib anderen, was du dir von ihnen wünscht. Was du gibst, bekommst du zurück. Wertschätze andere, danke und lobe sie mit einer ehrlichen Grundhaltung.

  8. Versuche dir Wertschätzung zu verdienen. Hilf anderen Kollegen, sei offen und ehrlich

  9. Verlagere den Wunsch nach Anerkennung vom beruflichen Umfeld in den privaten Bereich. Definiere dich nicht bzw. nicht zu sehr nur über deinen Beruf.

  10. Erkenne an, dass es unmöglich ist, den Durst nach Wertschätzung jemals zu stillen.

  11. Letzte Möglichkeit: Jobwechsel. Wobei du niemals sicher sein kannst, ob die Feedback- und Wertschätzungskultur in anderen Unternehmen besser sein wird.



Robert befand sich in einer typischen Abhängigkeitsfalle nach Lob und Anerkennung. Er wartete vergeblich auf Wertschätzung von seinem Chef für die umfangreichen und verantwortungs-vollen Aufgaben als Leiter der IT-Abteilung eines wachsenden Online Händlers. Und dies machte sich in bemerkbar. Er wurde trotz guten Gehalts zunehmend unzufriedener und frustrierter. Im Coaching arbeiteten wir an verschiedenen Handlungs- und Haltungsoptionen. Er mochte seinen Job und sein Team. Wechsel war daher nicht die erste Option. Selbstreflexion half ihm zu verstehen, warum er sich so sehr nach Anerkennung sehnte. Er begann achtsamer zu leben und seine Erfolge und versteckte Komplimente bewusster wahrzunehmen. Und er fragt sich, ob er seinen Gemütszustand tatsächlich von der Wertschätzung anderer abhängig machen sollte. Ein Spaziergang mit seinem Chef schließlich brach das Eis.


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